Differenzierte Schulsportbescheinigung hilft Kindern mit Rheuma

Lange Zeit sollten sich rheumabetroffene Kinder schonen – das galt auch für den Schulsport. Heute ist Bewegung ein fester Bestandteil der Therapie. Auch
für den Schulsport gelten neue Empfehlungen.
In Deutschland leben etwa 25.000 Kinder mit einer Erkrankung aus dem rheumatischen Formenkreis, davon circa 15.000 Kinder mit der Diagnose juvenile idiopathische Arthritis (JIA). Betroffene fragen sich nach der Diagnosestellung häufig: „Was bedeutet das für den Alltag, und ist Sport weiterhin möglich?“
Lange Zeit wurde Kindern mit JIA geraten, körperliche Belastungen zu vermeiden. Doch diese Ansicht hat sich grundlegend verändert. Die Möglichkeiten der medikamentösen Therapie haben sich in den vergangenen 20 Jahren verbessert. Der Anteil von Kindern mit klinisch inaktiver Erkrankung nahm stetig zu. Das Wissen über die Erkrankung ist gestiegen. Sport ist inzwischen fester Bestandteil in der Therapie der Betroffenen. Laut der Weltgesundheitsorganisation sollen fünf- bis 17-jährige Kinder täglich mindestens 60 Minuten körperlich aktiv sein.
Der deutsche Expertenkonsens sieht eine tägliche Bewegungszeit von 90 Minuten vor. Diese Empfehlungen gelten grundsätzlich auch für Kinder mit chronischen Erkrankungen.
Sport trotz Rheuma? Ja –, aber angepasst!
Ein pauschales Sportverbot ist heute nicht mehr zeitgemäß. Vielmehr geht es darum, den Betroffenen Alltagsbewegungen, Schul-, Freizeit- und/oder Vereinssport zu ermöglichen, um eine
kindgerechte Entwicklung zu fördern. Dabei sollte die Sportempfehlung die Krankheitsphase und die jeweiligen Bedürfnisse des Kindes individuell berücksichtigen.
In aktiven Krankheitsphasen mit geschwollenen und schmerzhaften Gelenken liegt der Schwerpunkt auf der Physiotherapie. Im Vordergrund steht viel Bewegung bei geringer Belastung.
In inaktiven Krankheitsphasen, nach Abklingen der Entzündung, sollte die Belastung dosiert sein. Es kann behutsam mit sportlicher Aktivität begonnen und diese kontinuierlich
gesteigert werden. In der Remissionsphase ohne Gelenkentzündung und mit normaler Gelenkfunktion ist eine uneingeschränkte, auf die individuellen Fähigkeiten angepasste Sportteilnahme möglich.
Die Ziele sind in allen Krankheitsphasen ein aktiver Lebensstil mit regelmäßiger körperlicher Aktivität und einer dauerhaften Sportteilnahme. Die richtige Balance zwischen stufenweiser Belastung und Pausen ist dabei entscheidend, um Überbelastungen zu vermeiden.
Ein Kompass zur Orientierung
Um Familien, Ärzten, Therapeuten, Lehrkräften und Trainern eine Entscheidungshilfe zu bieten, welche Bewegungsform beziehungsweise Sportart individuell für die Betroffenen empfohlen werden kann, haben Expertinnen und Experten am Deutschen Zentrum für Kinder- und Jugendrheumatologie zusammen mit der Technischen Universität München den
„Rheuma und Sport Kompass“ (RSK) entwickelt. Dieser berücksichtigt für eine individuelle Sportempfehlung die Gesundheitsfaktoren des Kindes wie Gelenkentzündungen, Bewegungs-einschränkungen, Kortisoninjektionen in Gelenke und Schmerzen. Die RSK-Sportempfehlungen erleichtern eine angepasste Teilnahme am Schul-, Freizeit- und/oder Vereinssport.
Alternativ empfehlen sich Bescheinigungen, die Bewegungsfunktionen beurteilen statt einzelner Sportarten. Der Schulsport ist für viele Kinder die erste und einzige Möglichkeit, unter Anleitung sportliche Erfahrungen zu sammeln. Daher ist es wichtig, dass Lehrkräfte informiert sind und Kinder nicht automatisch vom Unterricht befreit werden. Alternative
Notengebungen sind möglich.
Welche Sportarten eignen sich für betroffene Kinder?
Für Kinder mit JIA empfiehlt sich eine Kombination aus Kräftigungs-, Flexibilitäts- und Gleichgewichtsübungen. Low- Impact-Sportarten wie Schwimmen und Fahrradfahren, die Ausdauer, Beweglichkeit und Koordination fördern, werden Rheumaerkrankten häufig empfohlen. High-Impact-Sportarten wie Ballsportarten und Joggen, die zusätzlich zu einem Kraftzuwachs und zu einer höheren Knochendichte führen, setzen eine gut kontrollierte Erkrankung und sportmotorisches Können voraus.
Trotz der vielen positiven Effekte von Bewegung gibt es einige Herausforderungen. Viele Betroffene sorgen sich beispielsweise, dass Sport die Erkrankung verschlimmern könnte. Hier
können individuelle Sportberatungsgespräche helfen, Ängste abzubauen. Unter Berücksichtigung der Krankheitsphase und des eigenen sportlichen Könnens ist eine angepasste und gleichwertige Teilnahme am Sport möglich.
Fazit: Jede Bewegung zählt! Sport sollte fester Bestandteil der Freizeitgestaltung von Kindern und Jugendlichen mit JIA werden. Bewegung ist essenziell für ihre körperliche, psychische
und soziale Entwicklung. Der RSK mit den individuellen Sportempfehlungen bietet dabei wertvolle Unterstützung. Eltern sind oft die wichtigsten Vorbilder.
Wenn Sie Ihren Kindern zeigen, dass Bewegung ein selbstverständlicher Bestandteil des Alltags ist, profitieren die Kinder langfristig. Also: Ermutigen Sie Ihr Kind, aktiv zu bleiben – angepasst an den Erkrankungsstatus zählt jede Bewegung, auch und gerade bei Rheuma!
Autorinnen:
Dr. Josephine Gizik arbeitet als Sportwissenschaftlerin am Department Health and Sport Sciences der TUM School of Medicine and Health an der Technischen Universität München.
Dr. Katharina Klauser ist Kinderrheumatologin und Ärztliche Leiterin des Sozialpädiatrischen Zentrums am Deutschen Zentrum für Kinder- und Jugendrheumatologie in Garmisch-Partenkirchen.
Dieser Text erschien zuerst in der Mitgliederzeitschrift "mobil", Ausgabe 3-2025. Sechs Mal im Jahr erhalten Mitglieder der Deutschen Rheuma-Liga die Zeitschrift direkt nach Hause (jetzt Mitglied werden).
