Bereits im Kindergarten stand Pauline stundenweise eine Integrationskraft zur Seite. In der örtlichen Grundschule bekam sie Nachteilsausgleich und Hilfen, etwa einen zweiten Schulbuchsatz für zu Hause, um ihr das Tragen der Bücher zu ersparen. Sie durfte den Aufzug benutzen und bekam stundenweise eine Integrationskraft als Schreibhilfe. Die Integrationskraft übte auch mit ihr den Umgang mit einem Notebook, das wir allerdings selbst anschaffen mussten.
Auf in die Realschule!
Beim Wechsel zur weiterführenden Schule schlug unsere Rheumatologin die Stephen-Hawking-Schule in Neckargemünd vor. Das ist eine staatlich anerkannte Privatschule mit einem breiten Angebot für Kinder mit und ohne motorische Einschränkungen mit Internat – und über 100 Kilometer entfernt von unserem Wohnort. Wir konnten uns zu diesem Zeitpunkt nicht vorstellen,dass unsere Tochter in ein Internat geht. Pauline wechselte auf die örtliche Realschule und bekam als Nachteilsausgleich den zweiten Schulbuchsatz sowie ein Laptop genehmigt. Sie konnte mit dem Zehnfingersystem tippen und beherrschte den Umgang mit dem Computer problemlos. Sie entschied selbst, wann sie den Laptop nutzte. In der Klasse stand für sie ein Drucker bereit, damit sie Klassenarbeiten mitschreiben konnte. Dank der offenen Haltung der Lehrkräfte erlangte sie problemlos den qualifizierten Realschulabschluss. Aufgrund ihrer schulischen Leistungen und ihrem Willen war schnell klar, dass sie auf ein Gymnasium wechseln könnte.
Abschied von der Inklusion?
Wir wussten, dass es eine Herausforderung werden würde, die Nachteilsausgleiche in der gymnasialen Oberstufe umzusetzen. Dass die Beschulung jedoch unmöglich schien, damit haben wir nicht gerechnet. Zuerst fiel auf, dass kein Gymnasium in der Region barrierefrei war. Auf Nachfrage erfuhren wir, dass man auf dem Gymnasium nicht mit Nachteilsausgleichen zu rechnen habe – die Schulleiter waren nicht bereit, die Beschulung von Schülern mit besonderen Bedürfnissen umzusetzen. Es kamen lediglich berufsbildende Gymnasien infrage, doch unsere Tochter wollte auf ein allgemeinbildendes Gymnasium.
Beim nächsten Termin bei der Rheumatologin sprachen wir über die Schule – und landeten erneut bei dem Hinweis auf die Stephen-Hawking-Schule. Also schauten wir uns die Schule genauer an. Bei einem Infotag lernten wir das Gesamtkonzept des Hauses, die verschiedenen Bildungsgänge, das Leben im Internat sowie die verschiedenen Therapie- und Hilfsmöglichkeiten kennen. Wir Eltern waren sofort überzeugt, bei unserer Tochter dauerte es ein wenig. Doch es gab schlichtweg keine Alternative!
Wir meldeten sie also an und freuten uns, als sie angenommen wurde. Aller Anfang ist schwer Unsere Tochter war anfangs skeptisch. Wie würde es für sie sein, unter der Woche weg von zu Hause zu wohnen? Was passiert mit ihren Freunden zu Hause? Viele Fragen und Ängste hingen im Raum. Am Anreisetag brachten wir sie zu ihrer Wohngruppe. Es war klar, dass dies kein einfacher Tag für uns werden würde. Doch ihre offene Ablehnung bereitete uns Sorgen. Die Wände in ihrem Zimmer waren kahl, und als wir ihr etwas Dekoration vorschlugen, meinte sie, dass sie nichts bräuchte, sie bliebe eh nicht lange.
Der Abschied fiel schwer, aber wir hatten Vertrauen in sie und die Betreuer vor Ort – aller Anfang ist schwer. Als Pauline freitags mit dem Fahrdienst nach Hause kam, sagte sie als Erstes: „Wir müssen einkaufen. Ich brauche Deko, einen Teppich, Büroartikel für meinen Schreibtisch und Bilder.“ Wir waren erleichtert. Nun ist sie über ein Jahr dort, und wir können sagen, dass Pauline in der Schule angekommen und gut aufgehoben ist. Ihre Therapien werden in den Stundenplan eingebaut, in der Schule wird auf ihre Bedürfnis Rücksicht genommen und Freunde hat sie dort auch – und weiterhin auch zu Hause.
Autorin: Christine H.
Aus Rücksicht auf ihre Tochter Pauline hat die Deutsche Rheuma-Liga an dieser Stelle und in der Mitgliederzeitschrift "mobil" den Nachnamen der Autorin abgekürzt. Sie engagiert sich seit vielen Jahren ehrenamtlich bei der Deutschen Rheuma-Liga.