Ich bin 16 Jahre alt und an Rheuma und ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) erkrankt – und ich liebe angeln. Dabei kann ich mich ablenken, entspannen und ich habe Erfolgserlebnisse. Außerdem treffe ich Freunde, und gemeinsam haben wir viel Spaß. Und so kam mir die Frage auf: „Ist Angeln für mich ein Hobby oder Therapie?“ Meine Antwort lautet: „Beides, Hobby und Therapie!“
Feinmotorik und Koordination
Angeln ist eine hilfreiche Methode, in Bewegung zu bleiben, da körperliche Aktivität Rheumatikern guttut. Bewegung kann aber auch dazu beitragen, die Impulsivität bei ADHS zu mindern. Die unterstützende Wirkung für den Rheumatiker ist dabei die Bewegungserhaltung der Gelenke, vor allem im Schulterbereich beim Auswerfen der Angelrute. Wenn ein Fisch anbeißt, werden die Schultern, Handgelenke, Finger sowie Rücken und Knie beansprucht und bewegt. Mitunter muss man den Fisch mit dem Kescher an Land bringen. Dazu braucht man eine gute Koordination beider Arme, weil der linke Arm die Angelrute hält und der rechte Arm den Kescher. Außerdem gibt es viele weitere Möglichkeiten, seine Fingerfertigkeit und Geduld unter Beweis zu stellen. Ich denke hier ans Formen kleiner Köderkugeln, die auf den Angelhaken aufgezogen werden, und zwar ohne die Form stark zu verändern. Das Koordinieren der einzelnen Arme ist eine ausgezeichnete Übung für ADHSler, da diese Bewegungsabläufe ihre Konzentration schulen. Gleichzeitig befindet sich der Angler in einer ruhigen und gleichmäßigen Bewegung.
Wichtig: Ordnung halten!
Die wichtigste Übung beim Angeln ist das ruhige Verhalten und das Stillsitzen am Wasser, um die Pose zu beobachten und eine Entscheidung zu treffen, ob ein Fisch angebissen hat oder nicht. Eine weitere wichtige Aufgabe ist es, die Ordnung des Angelplatzes und der Ausrüstung zu halten: Viele Betroffene mit ADHS haben Schwierigkeiten damit, Ordnung zu halten. Es fällt ihnen leichter, wenn ihnen etwas Spaß macht oder sie etwas besonders interessiert. Deshalb gehört das Sortieren der Ausrüstung ebenfalls zum Training. Für Rheumabetroffene ist es darüber hinaus wichtig, zu lernen, wie man das Gepäck so verstaut, dass man es alleine rückenschonend transportieren kann, beziehungsweise nur das einzupacken, was unbedingt benötigt wird.
Angeln als Gruppentherapie?
Aus meiner Sicht umfasst das Angeln deshalb wichtige Bestandteile der Ergotherapie, Physiotherapie und Psychotherapie. Ich könnte mir sogar vorstellen, angeln als Therapie zu betreiben, zum Beispiel gemeinsam mit einem Physio- oder Ergotherapeuten. Ein Therapietag könnte so ablaufen: 10.00 Uhr: Der Therapeut kommt und macht gemeinsam mit dem Betroffenen einige Fingerübungen, indem sie die Angelruten fertig machen. Dabei muss man sich konzentrieren, mit der Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt bleiben und Kleinteile in der Größe einer Erbse greifen. Anschließend machen sie sich auf den Weg zur Angelstelle – am besten zu Fuß oder mit dem Rad, um die gesamte Beweglichkeit zu erhalten und die Koordination zu fördern. 12.00 Uhr: Therapeut und Betroffener bauen gemeinsam den Angelplatz auf und achten dabei darauf, alles rückengerecht aufzuheben. Dann startet das Angeln: Das Abwarten und Ander-frischen-Luft-Sein öffnet alle Sinneskanäle und kann somit die Schmerzen verringern, da der Rheumatiker jetzt mit seinen Gedanken beim Angeln ist. Wenn dann ein Fisch anbeißt, werden die Schultern, Handgelenke, Finger und in manchen Fällen Rücken und Knie beansprucht, bewegt und somit die Muskulatur gestärkt. Achtung: rückengerechtes Bewegen nicht vergessen. Pausen macht das Angelteam nach Bedarf und körperlicher Verfassung und grillt dabei seinen eigenen Fisch. 17.00 Uhr: Therapeut und Betroffener packen zusammen und machen sich auf den Weg nach Hause. Am Abend schreiben Rheumatiker und Therapeut ihren Tagesbericht. Beim nächsten Treffen werden die Berichte besprochen und geschaut, was gut gelaufen ist und was diesmal mehr beachtet werden muss. Ich könnte mir vorstellen, dass Angeln als Gruppentherapie stattfindet, etwa mit sechs Betroffenen und einem Therapeuten. Bei meinen bisherigen Recherchen habe ich nichts finden können zum Thema Angeln als Therapie. Schade, denn ich mache für mich sehr positive Erfahrungen und habe über die Zeit andere Betroffene (ADHSler und Rheumatiker) kennengelernt, welche ähnliche Erfahrungen berichten. Mir ist deutlich geworden, wie viel Therapie für mich im Angeln steckt, um mit meinen Krankheiten, Rheuma und ADHS, besser umgehen zu können, da angeln mich von ihnen auch ablenkt und mir Erfolgserlebnisse beschert. Petri Dank!
Text von: A. Simon (Name von der Redaktion geändert)